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Gespräch mit Wolfgang Ullrich (Transkript)

Das Transkript wurde nach den Videos der Werkgespräche erstellt und zur besseren Lesbarkeit überarbeitet

Gespräch 1

ULLRICH: Wir wollen uns über den Werkprozess des Triptychons unterhalten, an dem Sie schon länger arbeiten und vermutlich noch eine Zeit lang arbeiten werden. Es hat eine klare historische Referenz, die schon auf den ersten Blick viel deutlicher erkennbar ist als bei vielen Ihrer anderen Bilder, die natürlich auch mit vielen Referenzen arbeiten.

Aber nicht nur das ist ungewöhnlich, sondern auch, was es für eine Referenz ist: ein doch nicht gerade gut beleumundetes Werk aus der Kunstgeschichte, das Sie sich als Ausgangspunkt für Ihre Arbeit gewählt haben, nämlich von Adolf Ziegler das Triptychon „Die vier Elemente“, ein sogenanntes Hauptwerk der NS-Kunst aus dem Jahr 1936, in unmittelbarer Nähe zu Adolf Hitler entstanden, auch jahrelang in seiner Nähe im Zentrum der Parteizentrale der NSDAP in München aufgehängt. Es wurde in der NS-Zeit auch in großem Stil in vielen Spielarten vervielfältigt, hat also nicht nur als Original Wirkung entfaltet, sondern angefangen von Postkarten und Abbildungen in Büchern bis hin zu einem riesigen Gobelin bei der Pariser Weltausstellung 1937. Also ein Werk, das im Dritten Reich sehr bekannt und präsent war. Und natürlich fragt sich, warum Sie sich das jetzt ungefähr 85 Jahre später wieder vornehmen und warum Sie es so ernst nehmen, dass Sie einen nicht unerheblichen Teil Ihrer Arbeitszeit für einen gewissen Zeitraum dafür verwenden.

Haben Sie einmal zusammengezählt, wie viele Stunden bisher schon an Arbeit in Ihrem Triptychon stecken – und wie viel könnte das in der Summe werden?

SCHOEMAKERS: Das kann man schlecht zusammenrechnen, ich weiß, dass ich ungefähr im November 2022 angefangen habe, das Projekt ernsthaft ins Auge zu fassen. Es also als Leinwandbild in den gleichen Maßen wie das Original zu machen. Danach habe ich die Recherche und die Materialsammlung noch einmal verstärkt. Zwischendurch habe ich aber auch noch an anderen Bildern gearbeitet, aber allein die die Vorarbeiten und das Bauen der Requisiten, zu schauen, wie groß muss es eigentlich werden – dieser ganze Prozess hat mich schon die ganzen Monate seit bald einem Jahr immer wieder in Anspruch genommen. In Stunden kann man das nicht rechnen, man muss dann schon eher in Wochen und Monaten rechnen.

So viel Zeit also, weil es genau die Rolle spielt, die Sie gerade reflektiert haben, meiner Meinung nach nicht, weil es an sich ein herausragendes Kunstwerk wäre. Ich glaube, wenn man ein wenig von Malerei Ahnung hat und sich vor dem Original befindet, dann ist man doch ein bisschen enttäuscht. Es ist nicht so überwältigend, wie man vielleicht denkt, aber es ist eben ein Hauptwerk der NS-Kunst vor allen durch die Reproduktionsgeschichte. Es steht für dieses Kapitel NS-Malerei. Man hat sich in München entschlossen, es in der Pinakothek der Moderne zu hängen, was ja auch nicht unumstritten ist, weil dahinter ja die die alte Sorge steckt, dass das Publikum sich jetzt sozusagen „für“ dieses Bild entscheiden könnte, weil es mutmaßlich den Geschmack mancher Leute trifft und dass man damit vielleicht den transportierten Inhalten Vorschub leistet. Es ist ja nicht unumstritten, dass es dort hängt.

ULLRICH: Es geht um den Museumsbegriff. Wer das Museum als Valorisierungsinstitution begreift, findet es natürlich hochproblematisch oder gar skandalös, dass ein solches Werk jetzt gezeigt wird, gar noch im selben Raum wie ein Max Beckmann. Andere hingegen sagen, das Museum sei ein Ort für gesellschaftlichen Diskurs, wo man darüber spricht, was überhaupt die Aufgaben und Möglichkeiten von Kunst sind. Für sie ist es eine Bereicherung, dass man jetzt nicht nur die Dinge zeigt, die im Kanon sind, sondern auch das, was irgendwann einmal in der Geschichte eine Rolle gespielt hat.

SCHOEMAKERS: Ich denke auch, dass eher Letzteres eine sinnvolle Herangehensweise ist. Es ist ja im Grunde genommen eine ähnliche Geschichte – wenn auch mit einem etwas anderen Zungenschlag – wie beim Umgang mit der sogenannten DDR-Kunst, wo man gesagt hat, das zeigen wir jetzt erstmal nicht. Und wenn, dann gab es gab Präsentation, die eher dazu geeignet waren, das Gezeigte noch einmal abzuwerten. Ungeachtet der politischen und inhaltlichen Unterschiede von NS- und DDR-Kunst, zeigt dieser Umgang, dass Kunst an sich offensichtlich auch und gerade in den Augen derjenigen, die sie nicht zeigen wollen, dass sie eine gewisse Kraft hat, sei es positiv oder negativ. Das zu untersuchen und genau hinzuschauen, was es eigentlich mit dem Bild von Ziegler auf sich hat und ob es wirklich so gefährlich, so skandalös ist, sich damit auseinanderzusetzen war sozusagen der erste Impuls. Dieser Impuls stammt aus der Werkreihe, die schon vorher begonnen worden war, in der ich mich mit anderen Bildern auseinandergesetzt habe, die einen Bezug zu rechten Ideologien haben, und in der es eben auch Bilder mit München-Bezug gibt.

Das Ziegler-Triptychon ist das Bild mit einem besonders starken derartigen Bezug. Es ist schlicht so prominent, dass man, wenn man sich mit diesen Bildwelten oder Gedankenwelten auseinandersetzt, letztendlich auch bei diesem Bild landet.

Je länger man sich daraufhin damit auseinandersetzt, desto merkwürdiger und kruder und auch zum Teil lächerlicher wird das Bild und die Geschichten darum herum.

Es ist überliefert, dass Hitler oder Goebbels mit ihren eigenen Versuchen, eine großartige neue deutsche Kunst unter anderem mit der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ zu etablieren, wo das Ziegler-Triptychon in der ersten Ausstellung 1937 gezeigt wurde, unzufrieden waren und sie sich selbst im Klaren waren, wie medioker das alles ist, was sie dort zeigen.

Aber dieses Bild von Ziegler hat durch diese massive Reproduktion eine große Wirkung entfaltet. Man könnte sagen, die Postkarten, Zeitungs- oder Magazinabdrucke dieses Bildes waren vielleicht genauso auch in den deutschen Haushalten präsent wie Hitlers „Mein Kampf“. Ob es nun gelesen wurde oder nicht. Oder ob man sich innerlich mit dem Bild auseinandergesetzt hat oder nicht. Aber es war sehr weit verbreitet und bekannt.

ULLRICH: Natürlich vor allem auch deshalb, weil es NS-Rasseideale visualisiert hat, was insofern auch ein Unterschied ist zu zumindest ganz großen Teilen von „DDR-Kunst“, die Sie angesprochen haben. So hat die NS-Kunst einen ideologisch sehr aggressiven Hintergrund, da zumindest implizit lebenswertes und lebensunwertes Leben voneinander getrennt wird. Ziegler hat es auch nicht dabei belassen, in seiner Karriere ein Maler „schöner Bilder“ zu sein. Er war zugleich einer der Hauptorganisatoren der Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 in München, wo es darum ging, eine große Anzahl von Künstlerinnen und Künstlern zu diskreditieren, zu vernichten in Werk und Person – und damit die NS-Ideologie ganz konkret und handfest umzusetzen. Wenn man heute auf sein Triptychon schaut, kann und sollte man nicht vergessen, wie viel Vernichtungswille in dessen Kontext vorhanden war.

SCHOEMAKERS: Wobei man, denke ich, bei Ziegler sagen könnte, dass er da im Wesentlichen ein skrupelloser Erfüllungsgehilfe ist, dass also die ideologischen Hintergründe viel deutlicher bei denjenigen vorhanden sind, die ihn zu einem solchen Bild motiviert haben. Er hat in vorauseilendem Gehorsam diese Ideologie bildlich umgesetzt. Wie stark er selbst ideologisch gefestigt war, ist schwer nachzuweisen, er war bekanntermaßen ein großer Opportunist.

ULLRICH: Aber die Rede, die er bei der Eröffnung der Ausstellung „Entartete Kunst“ gehalten

hat, ist sehr heftig!

SCHOEMAKERS: Ich habe auch sicher nicht vor, ihn in irgendeiner Hinsicht zu entlasten! Aber er steht in München in einem Kontext, wo er versucht, mit diesem Bild auch nicht zuletzt der Parteiführung zu gefallen und sozusagen seine Rolle als Funktionär zu festigen.

ULLRICH: Es war aber wohlgemerkt kein Auftragsbild.

SCHOEMAKERS: Nein, das hat er schon aus freien Stücken gemalt, aber er konnte damit rechnen, dass ein solches Werk dann auch einen gebührenden Platz finden wird an einem prominenten Ort. Die Parteiführung bis hin zu Hitler selbst hat schon während der Arbeit daran Kenntnis davon gehabt. Es gibt aber nicht viele Dokumente, die darüber hinaus die Hintergründe oder die Entstehungsgeschichte näher klären würden. Es gibt lediglich einen kurzen Briefwechsel mit dem Reichsbauernführer Walther Darré, in dem nachzulesen ist, dass der wohl dafür mitverantwortlich war, ihm sozusagen eines der weiblichen Modelle der vier Frauenfiguren „zuzuführen“. Darré und Ziegler tauschen sich darüber aus, inwiefern sie „ganz hervorragend“ dem Rasseideal entspricht. Aber es gibt darüber hinaus nichts Schriftliches. Man weiß, dass er dann daran gearbeitet hat, das ist auch fotografisch dokumentiert. Er hat sich fotografieren lassen im Atelier während der Arbeit an diesem Bild, wobei das eher inszeniert als spontan beobachtet aussieht… Man darf also davon ausgehen, dass das in seinem Umfeld wahrgenommen wurde und goutiert wurde. Und es hat dann ja auch einen prominenten Platz in der Großen Deutschen Kunstausstellung bekommen, wo es sehr gut sichtbar gehängt wurde.

ULLRICH: Wenn man liest, dass in einem Briefwechsel konkret über einzelne Modelle geredet wird, wundert man sich fast, denn blickt man auf das Bild, hat man nicht das Gefühl, dass hier lebende Figuren Modell gestanden hätten. Das wirkt doch sehr konstruiert und künstlich. Wenn man versucht, sich in die Posen dieser Frauen hineinzuversetzen, bekommt man gleich Krämpfe, es droht gar ein Bandscheibenvorfall – so unnatürlich wirkt das alles. Wie erklären Sie sich das: einerseits lebende Modelle, andererseits diese vermutlich unfreiwillige Künstlichkeit?

SCHOEMAKERS: Ich denke, dass diese Künstlichkeit tatsächlich unfreiwillig ist. Wenn man es genau ansieht, dann wird man natürlich genau diese Gefühle haben. Nicht nur als Maler erkennt man, dass die Figuren als ausgeschnittene einzelne Figuren auf dieses konstruierte Podest gesetzt sind. Und das passt vorne und hinten nicht. Auch wenn man versucht, die Fluchtpunkte zu rekonstruieren, passt das alles letztendlich nicht zusammen.

Den einzelnen Frauenfiguren gehen Portraitstudien im kleinen Format voraus und meine Vermutung ist, weil diese Portraitstudien in der Großen Deutschen Kunstausstellung und auch in Paris bei der Weltausstellung mitgezeigt wurden, dass sie einfach Teil dieser Inszenierung sind. Hier soll ein klassischer Werkprozess inszeniert und vorgeführt werden. Also „Seht her, ich habe auch diese Studien gemacht“. Dass das aber von vorneherein nicht authentisch ist, sondern dass sie auch genau für diesen Zweck mit angelegt und dann auch dort gezeigt wurden, um diesen Prozess gewissermaßen zu beglaubigen, scheint mir evident. Mir sind jedenfalls keine weiteren Vorzeichnungen oder Zwischenergebnisse von Sitzungen, wo es um die Körper geht, bekannt. Iman kann vermuten, dass es da vielleicht Sitzungen gegeben hat, vielleicht hat er auch fotografisch gearbeitet, das wäre zu dieser Zeit auch nicht unüblich, um am Ende alles zu diesem Werk zusammenzuschustern, das dann insgesamt nicht mehr besonders überzeugend ist.

Es sind Posen, die zum Teil klassisch anmuten sollen. Sie sind aber auch nicht gut beobachtet und passen vor allem nicht gut zusammen. Was ich ausschließen würde, ist, dass es irgendeine Bank gegeben hat, auf der die Modelle tatsächlich gemeinsam gesessen haben. Das funktioniert nicht, weil dafür unter anderem bei den beiden mittleren Figuren die entsprechenden Schatten fehlen. Das kann so nicht sein. Ich denke, dass er vielleicht noch weitere Sitzungen mit mutmaßlich einem Modell, das auch nicht mit den Modellen der Köpfe übereingestimmt haben wird, gehabt hat.

Man kann das alles so machen – wenn es dann am Ende funktioniert. Aber bei dem Bild funktioniert es, je länger man hinschaut, überhaupt nicht. Es überzeugt nicht und es ist auch in der malerischen Ausführung doch sehr grob. Es erinnert an Pinup-Malerei, nur ist selbst die meistens handwerklich noch besser als das, was er geliefert hat

ULLRICH: Es ist wirklich überraschend, wie viele handwerkliche Schwächen und Konstruktionsfehler in diesem Bild enthalten sind – und wie es trotzdem so bekannt werden konnte. Das sind ja nicht lediglich Geschmacksfragen, über die man hier spricht, sondern es geht eben um Fluchtpunkte, fehlende oder falsch gesetzte Schatten.

SCHOEMAKERS: Nein. Wenn man im naturalistischen Idiom arbeiten will, sollte man dann auch dessen Regeln beherrschen. Es handelt sich hier ja nicht um ein bewusstes Brechen von Konventionen, sondern offenbar um Unvermögen.

Gespräch 2

ULLRICH: Wir führen dieses Gespräch, während der Werkprozess läuft, dokumentieren diesen damit ein Stück weit und legitimieren auf diese Weise vielleicht Ihre Version. Deshalb sollten wir jetzt etwas darüber sprechen, wie sich Ihre Annäherung an das Thema, das Motiv, die einzelnen Sujets des Triptychons von Ziegler vollzieht.

Bezogen auf den Werkprozess: Am Anfang steht zunächst wohl die Überzeugung, dass es doch ein aufgrund seiner Rezeptionsgeschichte relevantes Werk ist, das eine genauere Auseinandersetzung auch auf malerischer Ebene lohnt. Und dann passiert wahrscheinlich erst einmal sehr viel. Man wird überlegen, welche Elemente aus einem Bild man übernimmt, wo und wie man verfremdet, wo und wie man vielleicht die eigene Kritik oder die Distanzierung oder seine eigene weltanschauliche Ausrichtung einbaut. Aber wie genau läuft das bei Ihnen? Vor allem über Skizzen, zuerst vielleicht auch über eine schriftliche Auseinandersetzung?

SCHOEMAKERS: Der erste Impuls war die Wahrnehmung einer gewissen Leerstelle. Also, dass es eine konkrete künstlerisch-praktische Auseinandersetzung mit NS-Kunst selbst so gar nicht gibt. Es gibt natürlich eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Ideologie, mit der Zeit, die referiert aber wenig direkt auf Bildwerke, also z.B. Gemälde, aus der Zeit. Es gibt also wenig genuin bildnerische Auseinandersetzung mit der Bildsprache des Nationalsozialismus, insbesondere nicht bezogen auf konkrete Arbeiten wie die dieses Werk von Ziegler. Ich habe auch lange gesucht, weil man ja auch wissen möchte, ob das jetzt ein origineller Ansatz ist. Habe ich da eine Idee oder haben das schon tausend Andere gemacht? Oder ist das vielleicht prinzipiell obsolet? Ich habe wirklich nichts gefunden, was diesen Ansatz, den ich dann umgesetzt habe, irgendwie geähnelt hätte.

Am Anfang steht eine innerliche Auseinandersetzung, es reicht ja nicht, nur das Bild zu sehen und die „Mängel“ zu erkennen, sondern man muss auch überlegen, was steckt dahinter. Man muss recherchieren, wie das Werk entstanden ist, was sich Ziegler dabei gedacht haben könnte, was Adolf Ziegler selbst für eine Figur ist.

Er hat ja nicht unbedingt als ein solcher Maler angefangen, wie ihn das Triptychon ausweist; er war zwar kein wirklich besonders herausragender Maler, bewegte sich aber durchaus im weitesten Sinne im Bereich der Neuen Sachlichkeit, in etwas expressiverer Spielart, und hat dort seine frühen Sachen gemacht.

Insofern war es von außen betrachtet nicht zwingend, dass er sich dann zu diesem Bild hin entwickelt.

Dann muss man das Umfeld recherchieren, d.h. was da eigentlich dargestellt ist, wie er etwa darauf kommt, die vier Elemente darzustellen. Es gibt ganz kurze schriftliche Zeugnisse von ihm, in denen man lesen kann, was mit dem Bild gezeigt werden soll. Natürlich soll die Überlegenheit der arischen Rasse und ein bestimmtes Frauenbild gezeigt werden. Daneben soll auch, wie das Hitler selbst auch propagiert, die neue deutsche Kunst quasi in die Kunst der Antike eingegliedert werden, eine absurde Argumentation, in der man behauptet, dass quasi die Griechen von den Germanen gelernt hätten und man jetzt wieder dorthin zurückkehre mit der neuen deutschen Kunst.

Das ist ein ganz starkes Element auch bei Ziegler, dass er auch in anderen Werken versucht, sich dort anzulehnen und die Ergebnisse sind absurd, tot und künstlich.

Nach solcher Recherche zu Zieglers Hintergrund zu Beginn arbeite ich so weiter, wie ich in meinen anderen Arbeiten auch beginne, dass ich zunächst überlege, wie ich bildnerisch darauf reagieren kann. Wobei „überlegen“ ein wahrscheinlich irreführender Ausdruck sein mag. Man begibt sich in ein visuelles Feld und nimmt diese Eindrücke und Informationen auf. Und in diesem „Zustand“ kommt man zu bildnerischen Einfällen, die natürlich erst ex post auf Tragfähigkeit und Umsetzbarkeit überprüft werden können, wobei die ästhetische Qualität das letztlich entscheidende Kriterium bleiben muss.

Da ich in der Regel dann versuche ein Setting ans Original anzulehnen und nachzubauen, war dann der nächste Schritt, nachdem ich mir überlegt habe, wie ich es eigentlich machen will, das, was in dem Bild von Ziegler enthalten ist, in seinen einzelnen Elementen zu dekonstruieren.

Das erste Element war dieses merkwürdige klassizistische Podest, auf dem die Damen dort sitzen. Und meine erste Idee war, das von hinten zu zeigen, also das gesamte Bild von hinten zu zeigen, sodass man sozusagen in die wacklige Konstruktion dieses Podests aus Pappe und Styropor hineinschaut und man die Figuren von hinten sieht.

Das war als Idee auch ganz überzeugend – als ich dann aber mein Podest nachgebaut habe und dann überlegt und getestet habe, wie das aussehen könnte, habe ich gesehen: Man sieht eigentlich bei der Rückseite zu wenig, man konnte nicht mehr richtig erkennen, dass das die Bank ist, die man in Zieglers Bild hat.

Und auch wenn es oft bei mir viel vergebliche Liebesmüh ist, also ganz viel Arbeit in diese Kulissen fließt und man dann manchmal nur wenig davon sieht, war mir das in diesem Fall dann doch zu viel der Vergeblichkeit.

Da musste ich umdenken und mir war schon klar, dass der Bruch mit dem Vorbild dann irgendwie anders im Bild sein muss, also nicht dadurch, dass ich es umkehre und die Rückseite zeige, sondern dadurch, dass da ein wirklicher Bruch hineinkommt und den habe ich dann buchstäblich eingebracht, indem ich einen Teil des Podests abgetrennt habe.

ULLRICH: Sie haben es dann auch so abgetrennt, dass es nach gewaltsamer Abtrennung aussieht.

SCHOEMAKERS: Ja, da kam die Axt im Atelier durchaus zum Einsatz und genau und das sieht man jetzt im Bild auch. Bei den Figuren war das Ziel, dass ich ein Modell nachinszeniere mit gewissen Abweichungen. Ich wollte aber nicht alle vier Frauenfiguren als Realmodelle in das Bild bringen.

ULLRICH: Das wäre eine Möglichkeit gewesen?

SCHOEMAKERS: Das war ein längerer Prozess, denn natürlich könnte man das weibliche Modell mehrfach einbringen, damit hätte ich auch kein Problem, auch wenn ich in der Regel ja nur mit einem Modell, also meiner Frau, arbeite. Die mehrfach ins Bild zu setzen – das wäre nicht das Problem gewesen. Aber ich hatte das Gefühl, dass es damit zu voll im Bild wird und damit dann auch zu nah am dem Original ist und mir zu wenig Raum bleibt, um dann noch andere Impulse zu setzen.

ULLRICH: Von den vier „Elementen“ im Bild haben Sie nur die Figur der linken Seitentafel, das Feuer, übernommen, die anderen nicht. Auf der rechten Seitentafel ist bei Ihnen dafür eine männliche Figur.

SCHOEMAKERS: Das hat sich auch erst im Laufe der Zeit ergeben. Die linke Figur war für mich besonders interessant, weil sie eine ganz besonders absurde Stelle im Original ist, da dort die Verkörperung des Feuers, also das Modell, dort sitzt und eine Fackel in der Hand hält. Es soll ein reales Feuer sein bei Ziegler und der erste Kommentar, der einem einfällt, ist natürlich, dass die arme Frau sich verbrennt. Die Hand und das Gesicht – es kann gar nicht sein, wie im Bild dargestellt, da die Fackel viel zu nah am Gesicht und an der Hand ist. Hier muss man sich in einem Kontext naturalistischer Darstellung fragen, was er sich denn dabei denkt. Auch das Feuer selbst sieht nicht besonders echt aus, aber es sollte ja im Rahmen des Gesamtbilds ein echtes Feuer sein und nicht irgendwie ein Plastikfeuer oder eine Lampe. Naturalistischer Anspruch und „idealistische“ Botschaft finden hier nicht wirklich überzeugend zueinander.

Es funktioniert also nicht im Original und das aufzunehmen, war natürlich besonders reizvoll. Deswegen habe ich eine solche Fackel auch als Requisit mit Buntpapier nachgebaut, die dann auch wirklich leuchtet und die man im Bild auch als eine solche Bastelarbeit erkennen wird, um so diese Absurdität aufzunehmen. Eben dadurch, dass man erkennt, dass dort jemand tatsächlich mit einer Spielzeugfackel sitzt und das Ganze einfach nur großes Theater ist, nicht wirklich fürchterlich überzeugend. Und bei mir wird es als ein solches Theater auch dargestellt. Deswegen war die Figur am Ende für mich auch besonders interessant. Wenn ich das Bild „umgedreht“ und alles von hinten gezeigt hätte, hätte ich wahrscheinlich ebenfalls versucht, diese Figur zu erhalten, einfach weil dieses Detail der Fackel zu bezeichnend ist.

ULLRICH: Kommen wir zu der männlichen Figur.

SCHOEMAKERS: Wie gesagt, das hat sich erst im Laufe der Zeit herausgestellt. Man ist immer dabei, weiter zu recherchieren, sich die Dinge anzuschauen. Irgendwann stieß ich mehr oder minder zufällig auf Otto Dix und die Sieben Todsünden. Das Bild selbst war mir natürlich bekannt, auch die Figur des Neids, die dann später das etwas stärkere Hitlerbärtchen bekommen hat.

Aber ich fand es in dem neuen Zusammenhang interessant, diese beiden Figuren nebeneinander zu stellen, die sich zum Nationalsozialismus gewissermaßen von zwei verschiedenen Enden nähern. Als Gegenfigur habe ich diese Figur auf den abgetrennten Teil des Podests gesetzt und habe ihr aber auch das Hitlerbärtchen weggenommen, weil 1933 und auch 1937 dieses Hitlerbärtchen noch gar nicht auf dem Bild von Dix war. Das ist, soweit man weiß, erst nach dem Krieg oder nach Kriegsende dann so stark hervorgehoben worden und so sitzt er jetzt, sitze ich jetzt, als Verkörperung dieser Dix-Figur auch mit ähnlich geschminktem Gesicht anstelle der Maske des Originals und ähnlicher Kleidung darauf und schaue etwas skeptisch – oder wie auch immer man das nennen mag aus dem Bild heraus.

ULLRICH: Es ging also nicht darum, die inhaltliche Besetzung des Dix-Motivs zu übernehmen, die Todsünde ‚Neid’ oder gar Hitler, sondern einfach nur die Pose zu zitieren und mit Ihren Gesichtszügen zu versehen. Und die Skepsis im Ausdruck ergibt sich aus der Motivation, ein Ursprungsbild zu dekonstruieren, hinter die Kulissen zu schauen und alles zu zerlegen?

SCHOEMAKERS: Genau. Und dass es der „Neid“ ist, ist ein sehr willkommener Nebeneffekt. Das spielt schon einfach deshalb mit herein, weil man sich dieses Motiv bei Ziegler durchaus vorstellen kann. Es ist eine denkbare Motivation, dass man versucht besonders gut zu sein in seinen künstlerischen Äußerungen, das dann aber nicht erreicht und vielleicht deswegen etwas scheel auf alles andere blickt. Das könnte man sich zugleich als psychologisches Motiv bei Ziegler vorstellen, wenn er sich um die „Entartete Kunst“ kümmert. Insofern sind das dann Bedeutungsebenen, die passen und übernommen werden können. Und dasselbe gilt auch für die Hitler-Assoziation der Figur – mit gleicher psychologischer Motivation.

Das passt einfach gut. Es gibt viele Ebenen im Bild.

ULLRICH: Wenn wir bei Bedeutungsebenen sind, dann ist auch zu fragen, warum die eine Figur Ihre Gesichtszüge trägt, die andere die Ihrer Frau. Man könnte hier eine Privatisierung dieses zuerst sehr allegorisch allgemeinen Sujets unterstellen. Wird, was Sie hier machen, zu einer privaten Mythologie?

SCHOEMAKERS: Nein, das würde auch nicht zum Kontext meiner anderen Arbeiten passen. Es ist für mich immer der erste Ausgangspunkt oder die Position, von der aus ich arbeite, dass ich die Themen, die ich umsetzen möchte, quasi am eigenen Leib umsetze und das hat dann am Ende auch den Effekt, dass man, wenn man dieses Bild sieht, wenn man mehrere meiner Arbeiten sieht, auch genau diese Herangehensweise sieht. Das ist stets die Ausgangssituation und da ist das Moment der Inszenierung immer besonders präsent, wenn man sieht, dass die Modelle immer die gleichen Personen sind, sodass sich dann immer die Spannung ergibt, dass jemand bestimmtes in eine Rolle schlüpft. Das macht in der Rezeption eine weitere Ebene auf. Anders, als wenn ich stattdessen beliebige Modelle nehmen würde.

ULLRICH: Damit entsteht auch ein Zusammenhang zwischen einzelnen Ihrer Werke, und letztlich erfüllt sich Ihre Idee von Oeuvre, die darin besteht, dass Sie selbst bei vermeintlich sehr unterschiedlichen Themen immer wieder mit demselben Personal arbeiten. Zugleich kommt der Begriff ‚Modell’ hier in seiner anderen Bedeutung zur Geltung, also bei Ihnen ist er nicht nur im Sinne von „Maler und Modell“ gemeint, sondern ‚Modell’ meint auch ‚Exempel’. Im Grunde geht es dann doch um allgemeingültige, im Grunde um allegorische Figuren, die Sie schaffen – und damit bleiben Sie in gewisser Weise auch dem Bildgenre treu, das von Ziegler vorgegeben ist. Man könnte sagen: Auf Ihrem Triptychon ist auch eine Art von Allegorie zu sehen.

SCHOEMAKERS: Das lässt sich nicht leugnen. Es ist eine interessante Paradoxie, dass man dadurch, dass man wiedererkennbare Personen benutzt, gerade diese Ebene des Modellhaften oder Allegorischen besonders sichtbar macht. Ich glaube, dass es auch in der Zusammenschau mit meinen anderen Arbeiten nicht so gut funktionieren würde, wenn permanent beliebige andere Modelle auftauchen würden. Es ist schon notwendig, dass ich es genau so mache und dabei wirklich seit vielen Jahren, eigentlich Jahrzehnten, stringent bin.

ULLRICH: Das ist als Stilmittel vergleichbar mit den Mitteln, die man aus dem epischen Theater kennt. Es schafft auch eine Distanzierung, ja die Betrachter:innen sollen eigens bemerken, dass etwas ein Modell – eine Versuchsanordnung – ist und nicht von dem Ehrgeiz getragen, eine perfekte Illusion einer wirklichen Lebenswelt zu schaffen – aber auch nicht eine private Mythologie, die bloß den Anspruch hat, innerhalb eines hermetischen Kreises eine Bedeutung zu haben.

SCHOEMAKERS: Das ist bei diesem Bild genauso wie bei meinen anderen Arbeiten. Es ist ein ganz wesentliches Moment, diese Distanz zu schaffen. Das macht die Rezeption vielleicht manchmal anstrengend für die Betrachter, vielleicht ist auch nicht jeder damit immer glücklich, denn es gibt auch beim Publikum oft das Bedürfnis, sich ins Bild hineinzudenken, hineinzufühlen, sich dem quasi hinzugeben und die Distanz möglichst zu minimieren. Man will also oft „im Bild sein“. Aber bei mir ist die Distanz eben immer Teil des Bildkonzepts und die Rezeption deswegen für Teile des Publikums anstrengend. Malerei ist für mich ein Mittel zur Distanzierung, nicht immersiv.

ULLRICH: Das stimmt. Aber Sie geben ja auch eine Rezeptionsanweisung: Man soll sich in dieses Bild eben nicht wie in einen illusionistischen Raum hineinbegeben, sondern soll verstehen, was für ein Versuch da gestartet oder was genau eigentlich verhandelt wird. Welche Art von Setting hat man da? Was wird dekonstruiert? Das Anstrengende besteht darin, dass man sich darüber erst einmal selbst klar werden muss. Sie arbeiten ja nicht mit didaktischem Zeigefinger, sodass die Botschaft oder das Ziel des Experiments sofort klar sind. Nein, Sie lassen Spielraum oder setzen darauf, dass jemand sich wirklich eine gewisse Zeit nimmt, um zu einer plausiblen eigenen Aussage zu gelangen.

SCHOEMAKERS: Es ist ja so, dass am Ende das Bild keine These formuliert, die dann entschlüsselt werden muss und getrost mit nach Hause genommen werden kann, sondern es bleibt vieles offen. Selbstverständlich wird durch die Anlage und in der Despektierlichkeit, mit der das Vorbild dort im wahrsten Sinne des Wortes zertrümmert wird, klar, dass das nicht affirmativ gemeint sein kann. Aber es gibt auch eine ganze Reihe von kleineren Elementen, die dann in der weiteren Arbeit hinzukommen, die weitere Wege öffnen, sich zu distanzieren und in diesem Prozess eigene Wege durch dieses Bild zu finden. Das ist mir wichtig. Ich habe nicht vor, Thesen zu illustrieren und zu verkünden.

Letztendlich ist das in diesem Fall auch gar nicht notwendig, denn, wenn man genau hinschaut, dementiert Zieglers Bild sich im Original auch selbst.

ULLRICH: Sie haben aber, so mein Eindruck, schon den Anspruch, dass diejenigen, die sich damit beschäftigen, zumindest einen punktuell geschärften Blick auf den Nationalsozialismus und vor allem auf die Ästhetik der Rassenideologie bekommen. Sie haben ja auch neue Elemente in Ihrem Bild. Es gibt Stellen, wo Blut aus der Erde sprudelt – also Blut und Boden. Das wird offensichtlich zu einem zentralen inhaltlichen Element Ihres Triptychons, gerade im Unterschied zu dem Zieglers. Die ganze Blut-und-Boden-Lehre wird bei Ihnen geradezu plakativ visualisiert – da gibt es eine gewisse pädagogische Ambition, oder?

SCHOEMAKERS: Das ist lässt sich kaum vermeiden, auch wenn meine „pädagogischen“ Ambitionen sehr begrenzt und bescheiden sind… Diese Ideologie von Blut und Boden, wenn man sie versuchsweise annimmt und durchdenkt, ist sie einfach absurd und widerspricht allem, was man selbst rational dazu denken kann. Dann ist es natürlich verlockend, diese platte Ideologie dann auch genauso plakativ ins Bild zu setzen, um zu zeigen: Das ist Blut und Boden. Und alles das, was da als ideologischer Überbau existiert, ist ein großangelegter Blödsinn.

Durch so sehr plakative Bildfindungen wird man schon in diese Richtung gestoßen. Aber der Gegenstand selbst verlangt ja danach.

ULLRICH: Bei Ihnen ist die Szene auch in den Wald und in die Nacht versetzt, es gibt also keinen hellblauen wolkenlosen Himmel. Der deutsche Wald ist ja auch ein Urmotiv der Romantik und bis heute gerade Topos rechter Ideologien; Ernst Jüngers Buch „Der Waldgänger“ fällt einem dazu etwa ein, aber auch viele heutige rechte Gruppen identifizieren sich mit dem Wald. Durch die Veränderungen, die Sie vorgenommen haben, versammeln Sie auf Ihrem Bild insgesamt Kernmotive faschistischer Ideologien – viel dichter als Ziegler selbst.

SCHOEMAKERS: In meinem Bild ist tatsächlich wohl mehr drin als im Ziegler, glaube ich. Das war vielleicht auch nicht so schwer…

Man ist der, der man ist. Die Auseinandersetzung mit Ideologien hat die letzten Jahre mein Werk durchaus mitbestimmt und war vielleicht auch ein Motiv von Anfang an.

Das wird in dem Bild auch sichtbar und die Umdeutungen und hinzugefügten Elemente sind notwendig, um ein reichhaltigeres, offeneres Bild zu erhalten. In dem Zieglerbild selbst steckt sonst sichtbar auch nicht viel mehr drin, man muss also irgendwas damit machen, daraus entwickeln.

Insofern waren die Umdeutungen und -drehungen, die nach der Fertigstellung sicher noch ein bisschen stärker herauskommen werden, nötig. Bis jetzt ist nur die Untermalung fertig und all die Details, die noch kommen, sind noch gar nicht zu sehen. Es liegt also noch einiges an Arbeit vor mir.

ULLRICH: Die Untermalung haben Sie schon abgeschlossen. Könnten Sie sich, wenn Sie eine Idee für ein weiteres Element haben sollten, jetzt trotzdem noch korrigieren? Oder ist die weitere Arbeit, die jetzt noch bevorsteht, im Grunde die genaue Ausführung eines einmal entwickelten Programms?

SCHOEMAKERS: Sowohl als auch. Es ist natürlich schon sehr viel festgelegt, gerade was die die Figuren angeht. Deswegen ist ja die Vorarbeit so wichtig und zieht sich so lange hin.

Weil man auf der Ebene der Vorarbeiten in dieser Phase schon ganz viel entscheidet und überlegt, wie man das mit der Komposition machen will, wo und wie die Figuren hingesetzt werden.  Oder ob eine Figur etwas größer oder kleiner werden muss. Die Posen werden ausprobiert und bestimmt. Das sind alles Dinge, die bei meinem Malprozess schon früher entschieden sein müssen.

Aber in dem jetzigen Zustand besteht noch viel Freifläche, wo noch weitere Elemente Platz finden.

Aber das Gerüst mit den Hauptfiguren, das steht, da ändert sich dann nicht so viel und das ist dann vielleicht die „strenge Ausführung“, wobei das natürlich relativ zu sehen ist.

Denn das war vielleicht bei Ziegler der Fall, der hat sich nur darauf beschränkt, einfach auszumalen. Ich versuche auch malerisch etwas mehr zu erreichen.

Gespräch 3

ULLRICH: Der intellektuell programmatische Teil der Arbeit ist weitgehend abgeschlossen. Mit der Untermalung kommt nun noch der handwerkliche Prozess.

SCHOEMAKERS: Im Wesentlichen ist das abgeschlossen, es ist aber eigentlich gerade bei den großformatigen Arbeiten so, dass dann im Laufe der Zeit noch Dinge hinzukommen, manches auch getilgt wird. Aber das das große Gerüst steht, es kommt selten vor, dass ich eine ganze Figur neu anlege oder die Komposition komplett ändere.

Aber dass noch Elemente hinzugefügt werden oder etwas weggenommen wird, das kann schon passieren.

Bestimmte Dinge sind auch noch gar nicht festgelegt, bestimmte Faltenwürfe und solche Details, das entwickelt sich alles beim Malen.

Die Ausführung insgesamt ist auch nicht ganz unwichtig in der Auseinandersetzung mit Ziegler und gewissermaßen dem Wettstreit, wer maltechnisch nachher die Nase vorne hat…

Es gehört zu meiner Arbeitsweise insgesamt, dass ein gewisser scharfer Naturalismus in der Wiedergabe dessen, was im Bild nur im wackeligen Modell angelegt ist, also diese inszenierte Modellsituation, besonders stark sichtbar und erfahrbar macht.

ULLRICH: Sie haben die einzelnen Teile, die Modelle, gebaut und dann abfotografiert. Sie können wahrscheinlich gut einschätzen, welche malerischen Herausforderungen die einzelnen Sujets haben. Gibt es trotzdem immer noch Dinge, wo Sie selbst gespannt sind, wie Sie das lösen? Einen Baum bei Nacht zu malen oder das Sprenkeln einer Blutfontäne… Wird da eigens noch vorab ausprobiert, bevor Sie ans Bild selbst gehen, oder passiert alles auf der Leinwand selbst?

SCHOEMAKERS: Es passiert im Wesentlichen auf der Leinwand selbst. Manche Dinge probiere ich auf einer anderen Leinwand oder auf einem Blatt einfach kurz aus. Aber das sind so die vielen kleinen malerischen Herausforderungen, die man sich selbst stellt. Ich habe bis jetzt noch keine Blutfontänen gemalt und natürlich ist die Lichtsituation nicht ganz leicht. Wir haben von vorne sehr weiches, weißes Licht, ein kaltes Licht, dazu gibt es die Fackel mit einem lokalen warmen Lichtton. Das sind so malerische Herausforderungen, denen man sich gerne stellt. Es wäre auch sonst noch lästiger oder anstrengender, wenn man diese kleinen Herausforderungen, die man dann immer wieder meistern muss, im Malprozess nicht hätte.

Dabei graut mir ein wenig vor der gesamten Vegetation, es sind sehr viele Blätter, Grashalme, Zweige. Aber natürlich hat man den Ehrgeiz, das vernünftig zu machen, aber auch effizient. Feinmalerei um der Feinmalerei willen ist Unsinn. Das Handwerkliche ist nie Selbstzweck oder stellt sich selbst aus

Also es ist noch viel Arbeit, aber man hat immer das ideale fertige Bild vor Augen, da möchte man hin und insofern trägt das dann durch den Prozess.

Aber es wird sich noch einige Wochen hinziehen, denke ich.

ULLRICH: Es ist ja auch eines Ihrer vom Format her größten Werke, das da im Entstehen ist. Sie haben es ja schon gesagt, dass es exakt dieselbe Größe hat wie Zieglers Vorbild. Ich finde es auch eine interessante strategische Entscheidung von Ihnen, das Format zu übernehmen. Man hätte es ja kleiner machen können, um zu signalisieren, dass man den analytischen Zugang verstärken will. Sie hätten es auch größer machen können, um auf die Monstrosität des Vorbilds zu verweisen und um noch mehr unterzubringen. Diese Formatidentität signalisiert hingegen eine gewisse Idee von Paragone: Sie wollen sich an dem Vorbild messen, es dekonstruieren und ins Gegenteil verkehren, es in seiner ganzen ideologischen Problematik und vielleicht auch handwerklichen Fehlerhaftigkeit offenbaren. Aber was genau reizt Sie an diesem direkten Vergleich, der ja durch die Formatidenentität sehr nahegelegt wird?

SCHOEMAKERS: Es gibt diese vage Vorstellung, wie es aussehen würde, wenn man beide Bilder nebeneinander hängen hätte. Was das stärkere Bild wäre, was man auf der Fläche leisten kann.

Was Ziegler geleistet hat, was ich leiste auf identischer Fläche. Das ist so ähnlich, wenn auch mit ganz anderen Vorzeichen, wie bei der Arbeit aus der Serie Cranach Suite, wo ich die Lucretia von Cranach im fast identischen Format gemalt habe wie Cranach selbst, auch da, um die Dinge „umzukehren“ und dann in der Ausstellung im Landesmuseum sie wirklich gegenüber hängen zu haben, so war die Hängung im Cranach-Saal. Das war spannend, diesen Dialog zu sehen. Natürlich auch die Frage, ob man da mithalten kann… Hat es sich gelohnt, so viele kleine Pelzhaare zu malen, um auf Augenhöhe zu sein?

Das ist natürlich ein Aspekt, weil man in Bezug auf das Ziegler-Triptychon diese Wahrnehmung hat, dass es so außerordentlich prominent für die NS-Kunst steht und zu jener Zeit, zumindest nach außen als vorbildliches Werk, das die Ideologie vortrefflich ins Bild setzt, auch rezipiert worden ist. Dem möchte man irgendetwas entgegensetzen und die Idealvorstellung wäre, dass man sie nebeneinander hängt und dann schaut, wer überzeugender ist, auch wenn das wahrscheinlich nie passieren wird. Und da lag das Originalformat auch deshalb nahe.

ULLRICH: Wobei es schon ein Unterschied ist, ob man sich mit Cranach in einen Paragone begibt oder ob man das mit Ziegler tut. Und jemand, der missgünstig ist, könnte einwenden, dass Sie den Ziegler damit nobilitieren, dass Sie ihm so viel Zeit und Aufmerksamkeit und eigene Malfläche widmen. Wie antworten Sie darauf?

SCHOEMAKERS: Da würde ich antworten, dass Ziegler eigentlich ja nur das Oberflächenphänomen ist für die Ideologie, die dahintersteht. Und damit kann man sich durchaus intensiv befassen, wie ich das in den in den letzten Jahren mit meinen Arbeiten schon gemacht habe. Es geht also um die Ideologie dahinter und auch diesen Abstand zwischen Wollen und Können, also auch dem ideologischen Wollen und Können. Man will mit der NS-Ideologie eine ganz neue Zeit einläuten

und je näher man hinschaut, desto absurder und bodenloser und dümmer erscheint das, was dann dort verkauft wird.

Es ist ja nicht so, dass das nicht auch auf fruchtbaren Boden fällt. Wenn ich heute aus der rechten Ecke Äußerungen höre, sind die nicht deutlich intelligenter, nachvollziehbar rationaler oder überzeugender.

Wenn man sich mit so einer Ideologie, wie sie von Ziegler ins Bild gesetzt wird, auseinandersetzt, dann führt man diese Hohlheit automatisch auch vor.

ULLRICH: Wir haben jetzt schon angedeutet, dass es nicht die erste Arbeit ist, in der Sie sich mit rechten Ideologien oder Figuren aus dem rechten Spektrum beschäftigen. Zum Teil haben Sie auch zeitgenössische rechte Bewegungen in ihrer Arbeit verhandelt. Jetzt in diesem Fall gibt es einen starken historischen Bezug. Würden Sie sich selbst als politischen Künstler bezeichnen?

SCHOEMAKERS: … muss ich wohl …

ULLRICH: Das klingt so, als hätten Sie selbst ein gewisses Unbehagen mit dieser Etikettierung.

SCHOEMAKERS: Mit der Etikettierung habe ich ein Unbehagen, weil damit, denke ich, bestimmte Ideen oder Vorstellungen verbunden sind, vor allem, dass man aktivistisch mit Bildern hinaus in die Welt gehen will. Das ist von mir nicht intendiert. Wenn ich jetzt „politischer Künstler“ höre, dann stelle ich mir vor – vielleicht ist das auch blödsinnig – da ist jemand, der eine bestimmte politische Ausrichtung und Agenda hat, die er mit seinem Kunstwerk anderen nahebringen will. Mir geht es eher darum, das, was ich vorfinde, zu analysieren, zu dekonstruieren und dann sozusagen zur Verfügung zu stellen. Dann kann der Betrachter meines Erachtens selbst darauf kommen, wie er sich zu diesen Ideologien verhält.

Auch bei den älteren Arbeiten war die Umsetzung so, dass gerade dieses Moment der sehr hohlen Inszenierung herausgestellt wird. Das ist mir wichtig. Denn Ideologie zeichnet sich besonders durch diesen Abstand aus, diese Prätention, auf alles eine endgültige und passend richtige Antwort zu haben. Je näher man hinschaut, desto hohler wird das Ganze.

Damit beschäftige ich mich, mir geht es darum, Distanz herzustellen in meinen Arbeiten.

ULLRICH: Damit ist auch völlig klar, dass Sie das Gegenteil machen von dem, was aktivistische Kunst macht. Die richtet sich vor allem an ein Publikum, das schon dieselben Überzeugungen teilt und das man nochmal bestätigen, motivieren, stimulieren, empowern möchte, ja das man zu Aktivitäten in ganz bestimmter Weise anstacheln will. Das ist die Idee von aktivistischer Kunst, während politische Kunst in dem Sinne, wie Sie sie machen, dem Publikum gewisse Freiheiten lässt. Sie setzt aber auch auf ein breiteres Publikum, also nicht nur auf Leute, die eins zu eins schon mit der eigenen Agenda oder dem eigenen Weltbild übereinstimmen.

Es wäre gerade einmal interessant, mit Leuten über Ihr Bild zu diskutieren, die sich selbst eher im konservativen bis rechten Spektrum verorten, um zu sehen, wie die das dann interpretieren,  ob die das nur als Polemik sehen oder ob die auch etwas Interessantes erkennen können, so dass man durch Ihr Bild vielleicht sogar ins Gespräch kommen kann über verschiedene Weltanschauungen hinweg. Das sehe ich teilweise als einen Anspruch, den Sie verfolgen: Indem Sie erst einmal etwas auf Distanz stellen, bleibt offen, was genau in der Rezeption geschieht. Es ist also ein hoher Freiheitsgrad im Spiel, und das ist der Unterschied zu aktivistischer Kunst.

SCHOEMAKERS: Ja. Auch in der Ausstellung im Museum in Dortmund, im Museum für Kunst und Kulturgeschichte. Dort gab es ein Werk „Hier stehe ich und kann nicht anders“, das auf den ersten Blick eine aktivistische Form hatte. Das war ein Postkartenständer mit Postkarten darin, auf denen Motive der rechten Splitterpartei „Die Rechte“ umgekehrt wurden. Die hat Ihren Hauptsitz in Dortmund- Dorstfeld, im bundesweit bekannten dortigen „Nazi-Kiez“.

Von der Form her ist dieses Werk aktivistisch, weil das Postkarten waren, die man kostenlos mitnehmen konnte, die auch gerne mitgenommen worden sind.

Aber die Motive selbst haben keine spezielle andere Wahrheit verkündet oder irgendwas explizit verdammt. Ein Hauptmotiv war tatsächlich ein Aufkleber, den sie vertreiben „Ausländer raus!“ Bei mir hieß es einfach „Rausländer aus!“. Das heißt, man kann diese Distanzierung durch die Umkehrung mitnehmen und sich anschauen. Man muss nicht gleich einer anderen Fahne folgen, sondern es wird dadurch etwas in Distanz gebracht und so auch ein wenig ins Lächerliche gedreht. Aber man hat eben die Möglichkeit, darüber nachzudenken, was diese Umkehrung eigentlich bedeutet und wie sie eigentlich wirkt. Von der Form her war das tatsächlich das aktivistischste Kunstwerk, das ich gemacht habe, aber es war vom Konzept her ähnlich wie meine gemalten Bilder.

ULLRICH: Postkarten sind auch ein Stichwort, das wir noch vertiefen könnten. Sie belassen es nicht bei dem Triptychon der vier Elemente, sondern Sie haben begleitend bereits eine Serie von Postkarten dazu gemacht. Was ist da genau das Thema?

SCHOEMAKERS: Es ist so, dass man im Laufe der Recherche viele Dinge sieht, die eine weitere Beschäftigung lohnen, und eine Sache, die auch letztlich mit dieser Idee der Verbreitung als Reproduktion dieses Bilds zusammenhängt, ist, dass es Postkartenserien zur Großen Deutschen Kunstausstellung gab in verschiedenen Lizenzen, vor allem eine bei Heinrich Hoffmann, also dem „Hoffotografen“ von Adolf Hitler, der hat einen großen Teil der Bilder der Ausstellungen als Postkarten vertrieben. Auffällig ist, wenn man diese einige hundert Motive sichtet, es waren ja auch immer große Ausstellung mit sehr vielen Bildern, sieht man unglaublich viele Frauenakte, die auf den ersten Blick sehr klassisch sind oder, besser gesagt, klassisch erscheinen wollen. Die dabei aber ein Frauenbild reproduzieren, das dieser NS-Ideologie entspricht. Da wird die Frau auf „ihren Platz“ verwiesen, so ist sie beispielsweise als schöne Bäuerin zu sehen – beim Umkleiden. Das ist immer der der männliche Blick, der dort reproduziert wird und das ist sehr auffällig. Ich habe überlegt, dass ich das ebenfalls ins Gegenteil verkehren kann und habe nach Zitaten gesucht, die die Rolle der Frau im Nationalsozialismus beschreiben, aus Originalquellen, Hitler- und Goebbelszitaten oder von BDM-Führerinnen. Die habe ich dann kombiniert mit Linienzeichnungen, die ich nach Bildern meiner Frau angefertigt habe, die auch da wieder als Modell gedient hat. Diese Aussagen selbst sind in ihrer Absurdität schon eigentlich schon grotesk genug, aber in der Nachstellung dieser Motive schaut bei mir das Modell immer ganz streng direkt den Betrachter an und erobert so den Subjektstatus für sich wieder zurück.

So wird diese Spannung noch einmal besonders spürbar; das schönste Zitat wird dann wahrscheinlich auch der Titel dieser Serie sein „Blaustrumpfkultur und Frauenherrschaft“.

Diese Blaustrumpfkultur und Frauenherrschaft, von der ich mich jetzt, ehrlich gesagt, nicht so sehr fürchten würde, die habe ich dann da ins Bild gesetzt und diese Postkartenserie begleitet als Kommentar das Triptychon, denn das war ja bei der ersten Großen Deutschen Kunstausstellung, sehr prominent gehängt und wurde von Hitler angekauft, um dann nachher „beim Führer“ über dem Kamin zu hängen.

Gleichzeitig startet aber auch die Vermarktung und Verbreitung über die Postkarten im Deutschen Reich.

ULLRICH: Aber diese Postkartenserie unterscheidet sich von der, die Sie Dortmund gemacht haben, die wohl wirklich aktivistisch war, da gebe ich Ihnen recht. Hier geht es ja auch wieder eher um etwas Dekonstruierendes. Der ‚male gaze’ wird dekonstruiert, und Sie versetzen die Frau einerseits noch einmal in die alten Posen des ‚male gaze’, brechen diese dann aber, indem die Frau sehr selbstbewusst aus den Bildern herausschaut und sich nicht nur betrachten lässt, sondern ihrerseits betrachtet. Es wird also zurückgeblickt, und das konterkariert die Originalzitate. Das kann ich mir gut und als sehr wirkungsvoll vorstellen. Wie viele Motive gibt es davon?

SCHOEMAKERS: Zehn oder elf, glaube ich, das hat sich immer mehr eingedampft, weil letztendlich ganz viele Posen wirklich identisch oder sehr ähnlich waren. Insofern musste man da jetzt gar nicht alle aufgreifen, dadurch hat es sich dann reduziert auf die verbliebenen exemplarischen Motive.

Die Frage bleibt, – Sie haben ja richtig gesagt, dass diese Serie nicht genuin aktivistisch angelegt ist wie die Dortmunder Serie – wie sie präsentiert wird. Wahrscheinlich nur in einem Display an der Wand. Oder man könnte vielleicht doch darüber nachdenken, sie doch herauszugeben, obwohl sie dann anders funktionieren würden als die Serie in Dortmund, da bin ich mir noch nicht ganz sicher.

Man kann sie natürlich als Objekt, vielleicht als Schuber, dann eher wieder als Kunstobjekt, vertreiben. Aber nicht zum Mitnehmen wie in Dortmund.

Diese Karten funktionieren anders, ich würde sie nicht einzeln weggeben wollen, sondern nur im Set.

ULLRICH: Also im Grunde als Multiple. Was reizt Sie generell daran, das Medium Malerei zu überschreiten, ins Objekthafte zu gehen, in den Raum zu gehen? Man könnte ja unterstellen, dass das doch ein Misstrauensvotum gegenüber dem angestammten Medium der Malerei ist, die dann doch zu wenig ist.

SCHOEMAKERS: Das war auch der Tenor der Rezension meiner ersten Einzelausstellung 1998 in Neumünster. Da hat tatsächlich auch jemand geschrieben „So ganz traut er dem Medium Malerei doch nicht“, weil dort auch da schon Objekte mit dabei waren.

Es gibt Dinge, die funktionieren vielleicht in der Malerei nicht so gut, sondern eher im Objekt. Hinzukommt, dass die Bilder zum Teil ja auch Objektcharakter haben, sie liegen also auf dem Boden, stehen in der Ecke, in Kisten. Es ist nicht so, dass ich sage, das Bild hängt an der Wand und das ist jetzt das Tor zu einer anderen Realität. Da ist mir zu wenig Distanz gegeben. Das Bild ist auch immer ein Objekt und das kommt bei manchen Arbeiten stärker zum Ausdruck, bei anderen weniger. Deswegen ist es für mich eine natürliche Fortsetzung, dann auch mit Objekten zu arbeiten.

Man könnte aber auch sagen, diese Objekte sind auch ein Hinweis darauf, dass auch das, was man im Gemälde sieht, eigens gemachte Objekte sind. Dieses Modellhafte, Versuchsanordnungshafte wird so vielleicht noch einmal deutlicher.

ULLRICH: Dadurch also könnte man es auch als Steigerung oder Explizierung Ihres gesamten künstlerischen Ansatzes verstehen. Und dann ist es auch wieder sehr stimmig, wenn nicht sogar notwendig, mit solchen gebauten Objekten zu arbeiten. Man könnte sich auch vorstellen, dass in einer Ausstellung nicht nur das Gemälde zu sehen ist, sondern all das, was als Vorlage und Requisite für das Gemälde gedient hat. Warum nicht auch das zertrümmerte Podest zeigen? Ich glaube, so etwas haben Sie noch nie gemacht, oder?

SCHOEMAKERS: Das habe ich noch nie gemacht. Das geht jetzt konkret auch nicht, denn das zertrümmerte Podest ist in der letzten Woche in Kiel im Sperrmüll gelandet, das ist jetzt definitiv weg. Das hat auch praktische Gründe, diese ganzen Sachen kann ich natürlich nicht alle aufbewahren, dafür ist gar kein Platz. Aber der eigentliche Grund ist, dass das vielleicht auch die Aufmerksamkeit vom Bild abziehen würde.

Was ich gut finde und auch gerne mache, ist natürlich, den Prozess in der Dokumentation, so wie wir das jetzt hier auch machen, offenzulegen. Da gibt es nichts hineinzugeheimnissen, das zeige ich auch dort. Wenn ich Ausstellung habe und dort Termine mache, dann führe ich den Prozess gerne vor. In Abbildungen hat man es dann auch und braucht nicht unbedingt das Originalmodell. Ich meine, das Ding ist drei Meter breit gewesen, das bewahre ich nur dafür nicht auf…

Aber die Dokumentation dieses Prozesses, die wird mir schon wichtiger. Vielleicht bin ich da in früheren Jahren nicht offensiv genug gewesen. Vielen ist nicht klar geworden, dass das nicht einfach nur „schön gemalte Bilder“ sind, sondern dass ein Prozess dahintersteckt, der das Bild in eine andere Qualität bringt, also dass man, wenn man das nachvollzieht, dann nochmal anders auf das Bild schaut.

ULLRICH: Ich würde auch vorschlagen, dass wir noch einmal ein Gespräch führen, wenn das Bild fertig ist. Dann kann man nochmal heranzoomen an die einzelnen Stellen und Details und nochmal deutlich mehr von dem offenlegen, was von Ihnen programmatisch mitgedacht ist. Jetzt haben wir aber, glaube ich, schon einmal einen guten Einblick in Ihren Werkprozess bekommen.

Gespräch 4

ULLRICH: Ihr Bild ist fertig, „Der Hausrat der Nation“, ein Jahr haben Sie daran gearbeitet. Wir haben uns schon einmal darüber unterhalten, als der Werkprozess noch voll im Gange war. Mir waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht alle weiteren Entwicklungen so klar wie wahrscheinlich Ihnen, aber ich war jetzt doch überrascht, als ich das fertige Bild gesehen habe, wie viele Elemente noch dazu gekommen sind, seit wir uns darüber unterhalten haben.

Ich muss gestehen, ich konnte auch nicht alle Elemente gleich identifizieren oder nachvollziehen. Aber bevor wir auf einzelne Motive etwas näher eingehen, will ich einen ersten Gesamteindruck mitteilen, den ich von dem Triptychon habe, der sich natürlich auch dadurch ergibt, dass ich weiß, welche primäre Referenz es hat, also dass Sie sich hier mit Zieglers Triptychon „Die Vier Elemente“ auseinandersetzen, das Sie aber vielfältig brechen.

Zuerst fällt natürlich die andere Farbgebung, das andere Farbklima auf, da Ihr Triptychon nicht in einem künstlichen Raum mit Kachelboden und Himmel angesiedelt ist, sondern in einem Wald bei Nacht. Es ist dunkel, es ist düster, es ist zum Teil so dunkel, dass man sogar Schwierigkeiten hat, einzelne Motive auf den Bildtafeln zu erkennen. Neben der Düsterkeit ist ein zweiter wichtiger erster Eindruck für mich die relativ leere Mitteltafel. Wir haben auf den Seitentafeln jeweils eine große Figur, einmal eine Frau, einmal einen Mann, jeweils auch mit einer klaren historischen Referenz. Die Frauenfigur ist stark angelehnt an die entsprechende, auf der linken Tafel befindliche Frauenfigur auf dem Ziegler-Triptychon. Bei der männlichen Figur rechts denkt man an die Figur des Neids in „Die sieben Todsünden“ von Otto Dix.

Üblicherweise bildet bei einem Triptychon die Mitteltafel das Zentrum, wo das meiste sich abspielt, doch das wirkt bei Ihnen relativ leer. Dort haben wir keine Figuren, nur einen zum Teil zerstörten Sockel, aber auf diesem Sockel sitzt oder steht niemand. Stattdessen sind darauf einfach nur Kartons fixiert, auf denen man zwar auch Figuren sieht, aber nur als Umrisszeichnungen und nur ganz leicht farblich angelegt, alles sehr zweidimensional und überhaupt nicht mit der Illusion einer Körperlichkeit oder Räumlichkeit.

Vielleicht ist das daher die erste Frage, die ich an Sie habe: Warum diese Umkehrung der üblichen Logik eines Triptychons, sodass man das Gefühl hat, dass das Geschehen, um das es hier geht, auf den Seitentafeln stattfindet und nicht in der Mitte?

SCHOEMAKERS: Diese Umkehrung ist aus meiner Perspektive auf zwei Ebenen schlüssig. Zum einen formal, da die Arbeit selbst ein Kommentar zu dem ist, was die vermeintliche Hauptsache oder der Gegenstand ist, nämlich dieses Triptychon von Ziegler. Also sind bei mir die Kommentarfiguren rechts und links präsenter als das, was im Original vielleicht eine besondere Präsenz haben soll.

Schlüssig ist das auf der anderen Seite auch auf inhaltlicher Ebene. Das, was Ziegler an Bedeutsamkeit vorspiegelt mit seinem Bild, in dessen Zentrum, wird jetzt in meiner Version auf das reduziert, wie ich sein Werk wahrnehme, eben als die Vorstellung von sehr oberflächlichen leeren Idealen, hinter denen eigentlich nicht viel steckt. Es wird bei Ziegler nicht wirklich etwas über die Figuren transportiert, sondern in meiner Perspektive ist das eine bloße Illustration von festgelegten ideologischen und nicht besonders stark reflektierten Vorstellungen. Er bedient sich eines Repertoires überkommener Bildvorstellungen, um dann eine bestimmte Ideologie zu illustrieren, die so substanziell nicht ist. Ich denke, das korrespondiert in dieser Weise mit meiner Anlage, die vermeintlichen Ideale als bloße Pappkameradinnen zu zeigen.

ULLRICH: Wenn man genau hinschaut, kann man auf den Pappen drei Frauen sehen, die auch wieder an die Figuren auf Zieglers Triptychon erinnern und ihnen ähnlich sind, aber nicht identisch.

SCHOEMAKERS:  Es sind die Posen aus dem aus dem Ziegler-Triptychon.

ULLRICH: Aber nicht exakt.

SCHOEMAKERS: Die Posen sind etwas anders, weil man sie auch gar nicht exakt nachstellen kann. Man fiele einfach um, wenn man so wirklich sitzen wollen würde wie in Zieglers Bild. Die armen Figuren können ja gar nicht so sitzen wie in seinem Bild. Das habe ich notwendigerweise korrigiert.

ULLRICH: Bei Ihnen sind die Köpfe auch auf gleicher Höhe und die Haare sind nicht blond. Das sind interessante Veränderungen gegenüber Ziegler.

SCHOEMAKERS: Und sie blicken den Betrachter auch direkt an. Es ist auch ein bisschen – ich meine, wenn man jetzt von Pappkameradinnen oder Pappfiguren spricht – ein Akt des Wegräumens und achtlos Abstellens darin enthalten. Sie werden sozusagen in die Mitte weggestellt und der Kommentar auf den Seitentafeln kommt jetzt deutlich präsenter in meinem Bild in den Vordergrund.

ULLRICH: Es gibt noch andere Elemente, die vielleicht auch erst einmal eher „flach“ sind. Wir haben einen Sticker auf der Mitteltafel links, der nicht wirklich auf diesem Sockel geklebt ist. Oder es ist eine ganz andere Bildebene.

SCHOEMAKERS: Er ist auf das Bild „geklebt“. Das hat dann auch eine doppelte Funktion. Zum einen natürlich, dass das inhaltlich Bezug nimmt auf Ziegler, weil er eine Skulptur von Kirchner zeigt, die in der Ausstellung „Entartete Kunst“ zur gleichen Zeit zu sehen war. Gleichzeitig ist der inhaltliche Aspekt wichtig, da mit Kirchner ein anderes Menschenbild in dieser Arbeit repräsentiert wird. Den anderen, eher formal begründeten, Aspekt haben sie schon adressiert. Der gemalte Aufkleber klebt natürlich nicht auf den Gegenständen im Bildraum, sondern auf der Oberfläche des Bildes, d.h. auf der Abbildung, die den Bildraum wiedergibt. Noch einmal eine weitere Ebene, wo das Vertrauen in die Selbstverständlichkeit des naturalistischen Bildraums mit naturalistischen Mitteln aufgehoben wird, um das andere im Bild als Bild kenntlich zu machen.

ULLRICH: Genau. Der Sticker ist kein Bild im Bild, sondern ein Bild auf dem Bild. Damit ist auch nicht weiter verwunderlich, dass da das Format sehr viel kleiner ist als das der Figuren im Bild. Es ist keine Bedeutungsperspektive, sondern ein Signal, auch diese zwei Ebenen deutlicher zu unterscheiden. Und indem der Kirchner in die Form eines Stickers gebracht ist, wirkt er ganz zeitgenössisch. Sticker gab es ja in den 1930er Jahren noch nicht, das ist eine relativ neue, auch eher eine popkulturelle Form, womit Sie vielleicht sagen wollen, dass dieses Menschenbild, das für die Nazis ‚Entartete Kunst’ repräsentiert hat, eben doch viel besser überlebt hat. Der Sticker hat heute eine popkulturelle, emotional positiv besetzte Dimension, während das andere eben wirklich nur noch diese graue Pappe ist, die jetzt irgendwo im düsteren Wald steht, wo man schon zweimal hinschauen muss, um überhaupt erkennen zu können, was darauf eigentlich abgebildet ist. Was dann fast wieder eine optimistische Geschichtsdarstellung wäre, wenn wir das so deuten. Und wo man sich fragen kann, ob das der Aktualität eigentlich noch angemessen ist. Denn wir beobachten ja einen gewaltigen Rechtsruck, national aber auch international, sogar global. Wir werden tagtäglich mit Nachrichten konfrontiert, wonach das, was wir als endgültig überholte Ideen angesehen haben, offenbar für viele Menschen, gerade auch für viele jüngere Menschen, doch wieder Attraktivität zu besitzen scheint. Darauf bezogen scheint Ihr Triptychon keinen direkten Kommentar zur Gegenwart zu leisten.

SCHOEMAKERS: Nicht unbedingt. Aber wenn man das kurzschließt mit der aktuellen Situation, dann kann man schon sehen, dass, wenn ich jetzt den Sticker auf der einen Seite habe, und dieser als popkulturelle Referenz gesehen werden kann, man auf der anderen Seite gegenwärtig eher beobachten kann, dass mittels KI Bildvorstellungen à la Ziegler plötzlich wieder in den Vordergrund rücken und von dieser Seite bemüht werden.

Das ist dann auch ein deutlicher Unterschied. Das ist eine ganz andere Ästhetik und im Grunde der dritte Aufguss dieser Ästhetik, wovon Ziegler den zweiten Aufguss macht. Nur diesmal mittels neuer technischer Möglichkeiten. Aber inhaltlich-ästhetisch bedient man sich da eigentlich unreflektiert, naiv aus dem gleichen traditionellen Repertoire.

ULLRICH: Das finde ich interessant, dass Sie KI-Bilder ansprechen, da diese ja fast zwangsläufig einen Retro-Charakter haben, weil sie aus Material gespeist sind, das bereits vorliegt. Interessant ist dabei, aus welchen Bereichen der Geschichte der Bilder sie sich speisen. Das ist gerade in letzter Zeit viel diskutiert worden, wie man insbesondere bei Midjourney fast zwangsläufig Bilder bekommt, die sich offensichtlich auf Propagandaästhetiken beziehen, wie man sie im Sozialistischen Realismus oder bei religiösen Sekten genauso hatte und hat wie im Nationalsozialismus.

Bleiben wir aber noch einmal bei den anderen figürlichen Elementen auf Ihrem Triptychon. Auf der Mitteltafel findet sich noch ein anderes figürliches Element, das auf ersten Blick gar nicht sofort zu erkennen ist. Da gibt es mehrere Luftballons, und auf einigen von ihnen sind Frauentorsi aufgedruckt, auch das sehr grafisch. Geht es hier auch um ein spezifisches Frauenbild oder die Reduktion der Frau auf eine Gebärmaschine, auf eine Mutterrolle – oder wie kamen Sie auf diese Motive?

SCHOEMAKERS:  Über die ursprüngliche Idee hatten wir schon gesprochen, also das etwas merkwürdige Körperideal von Adolf Ziegler. Und da existierte schon frühzeitig die Idee der Luftballons, die quasi diese vermeintlich perfekte kreisrunde Brustform, die Ziegler halbkugelig in seinem Bild unterbringt, repräsentieren sollen. Die aus diesem Bruch auch sozusagen herausquellen.

Das ist die eine Ebene. Und gleichzeitig stellt sich die Frage, wie sich das zu unserer Vorstellung von idealen Körpern verhält. Ziegler hat es „nur“ gemalt, heute ist es mehr oder weniger unkontrovers, das dann auch mit dem Skalpell umsetzen zu lassen.

Das, was sich auf den Ballons wiederfindet im hinteren Teil rechts, und auch im mittleren Teil, sind Piktogramme, die für Schönheitsoperationen stehen, wo genau gezeigt wird, an diesen Stellen muss man reduzieren oder vergrößern, um einem bestimmten Bild zu entsprechen. Das wird auf der rechten Tafel einmal mit einer Wiedergabe aus dem Rassenkunde-Buch kombiniert, worüber wir zuletzt auch schon gesprochen haben, wo der nordische Idealtypus der Frau dargestellt wird. Und ähnlich, aber natürlich auf etwas anderer Ebene, mit einer Zeichnung von Albrecht Dürer, der ja zum Teil auch idealen Körperformen nachgeforscht hat.

In der Geschichte hat es offensichtlich immer bewegt, zu überlegen, wie denn der ideale Körper aussieht. Und bei Ziegler ist es so, dass er für eine Ideologie steht, die versucht, dies auch allen anderen (Körpern) wirklich gewaltsam aufzudrücken und alles andere auszumerzen. So kann man das in Beziehung setzen und schließen, dass jetzt vielleicht in der Gegenwart Körperideale als Zwang noch stärker internalisiert sind und es ganz normal ist, zu sagen, ich passe mich dem Ideal qua Operation an. Im Grunde gibt es einen Schnelldurchlauf durch die Geschichte von Körperbildern oder von Ideen der Perfektionierung des Körpers von Dürer bis zu heutigen Schönheits- OPs.

ULLRICH: Und da erscheint dann der Nationalsozialismus als eine Phase in dieser Geschichte, natürlich als eine besonders aggressive Phase, weil es da ja vor allem klare Vorstellungen davon gab, was die „falschen“ Körper oder die „falschen“ Rassen sind. Mit den entsprechenden Vernichtungsimperativen, die daraus entsprungen sind. Aber Sie würden in Bezug auf den nationalsozialistischen Körperkult auch Dürer schon als problematischen Vorläufer einordnen?

SCHOEMAKERS: „Vorläufer“ ist vielleicht problematisch. Ich meine, bei ihm ist es eher eine nüchterne Bestandsaufnahme von verschiedenen Körpertypen. Er versucht es zu mathematisieren, insofern geht es schon in die Richtung einer Idealisierung. Aber es hat noch nicht diesen Drang, alles auf ein Ideal zu trimmen, sondern es sind Körpertypen, die er empirisch aufnimmt und versucht zu systematisieren.

Aber es gehört natürlich zu dieser Geschichte dazu und diese führt dann zu solch merkwürdigen Ideen wie rassekundlichem Unterricht, wo man versucht, messend festzustellen zu welcher Art von „Rasse“ man gehört. Er ist also nicht unmittelbarer Vorläufer, der in diese Richtung zielt, sondern es gehört zu dieser Geschichte dazu, dass man immer schon nach Idealen gestrebt und versucht hat, ideale Formen in der Wirklichkeit wiederzufinden.

Man kann sich damit abfinden, dass das nicht gegeben ist, oder man kann versuchen, das Ideal herzustellen. Das sind die beiden Möglichkeiten.

Mir ist auch aufgefallen, dass in dem Katalog der Ausstellung im Museum Arnheim („Kunst im 3. Reich“) zur Kunst der NS-Zeit sich aus der Großen Deutschen Kunstausstellung eine Abbildung eines Saals nur mit Aktdarstellungen findet. Es ist fast schon ein kleines „pornographisches Theater“. Daran kann man sehen, wie fixiert man offensichtlich zu der Zeit und bei diesem Ausstellungsvorhaben auf Körper und Körperkult war. Das ist sehr auffällig.

ULLRICH: Ich finde sehr passend, dass bei Ihnen die Luftballons am Boden liegen und dass der Boden zugleich Blut ist. So werden das ‚Blut und Boden’-Motiv und das Rassen- und Eugenik-Ideal der Nazis sehr eng zusammengebracht. Interessant finde ich außerdem, dass die Luftballons bei Ihnen alle hautfarben sind, auch um diese Brustassoziation zu wecken, die Sie gerade schon angesprochen haben. Es ergibt sich dadurch auf Ihrem Triptychon eine interessante formale Analogie, denn grafische Elemente auf Haut haben wir auch auf der linken Seite auf der linken Tafel am Oberschenkel der Frau. Da ist ein großes Tattoo, auch das, glaube ich, eine kunsthistorische Referenz. Ich war nicht ganz sicher, ist das Burgkmaier?

SCHOEMAKERS: Ja, das ist Burgkmaier. Eine der vielen Darstellungen der „Hure Babylon“.

ULLRICH: Wie kommt die auf den Oberschenkel?

SCHOEMAKERS: Im Grunde genommen pendelt die Geschichte von Körperidealen und was Bildfiguren auszeichnet im Abendland immer zwischen diesen beiden Polen einer idealisierenden Überhöhung, im Nationalsozialismus auch zur Mutterfigur, und andererseits allem, was dem nicht entspricht. Das ist dann das zwar paradoxerweise auch heimlich Reizvolle, aber offiziell Verworfene. Und dafür steht beispielsweise dieses Bild der „Hure Babylon“. Die ist natürlich dann gerade nicht das, was Ziegler mit seinen Figuren transportieren wollte, folglich ist gerade dieses Tattoo so groß auf diesem Bein gelandet.

ULLRICH: Und es ist auch passend, dass es ein Tattoo ist, weil auch das dem Nazi-Ideal widersprochen hätte, dass ein Frauenkörper noch sekundär mit Zeichen besetzt wird. Das hätte einer Idee von Reinheit doch krass widersprochen, oder?

SCHOEMAKERS: Ja, das Tattoo widerspricht auf beiden Ebenen dem Reinheitsideal.

ULLRICH: Genau. Inhaltlich und von der Platzierung oder von der Art her ist das ein Konterkarieren des ursprünglichen Motivs der Figur bei Ziegler.

Jetzt haben wir schon sehr viele kunsthistorische Referenzen besprochen, sehr viele dieser eher grafischen Elemente, die in Ihrem Bild sind. Ich glaube, es gibt noch eine Referenz – und zwar auf der Baumrinde, ebenfalls auf der linken Tafel, rechts im Hintergrund. Das ist ein Motiv, dass Sie von einem zeitgenössischen Künstler übernommen haben, von David Shrigley. Und dazu gibt es, wie meist bei Shrigley, auch noch einen kleinen Text, der fehlt allerdings auf der Baumrinde. In diesem Text geht es um ein Plädoyer für die Freiheit der Kunst oder dafür, dass ein Künstler eigentlich alles machen oder alles malen darf, was er malen möchte, ohne sich da irgendwelche Grenzen auferlegen zu müssen. Ist das eine Art Signatur, die Sie da eingebracht haben, ja auch Ihr Credo, das Sie da in den Baum geritzt haben?

SCHOEMAKERS: Es geht schon ein wenig über eine Signatur hinaus und wirft auch auf zwei Ebenen die Frage auf, was erlaubt ist oder was der Künstler zeigen oder nicht zeigen soll.

Wenn man sich die Zeichnung von Shrigley im Original ansieht, wirkt dieser Künstler auch nicht sehr sympathisch. Er erscheint in der Zeichnung eher unsympathisch und Shrigley konterkariert die Textaussage dann ein bisschen durch diese Figur, die unsympathisch wirkt, auch wieder selbst und wirft dadurch eine Frage auf. Zeichnung und Text bleiben als gegensätzliche Behauptungen im Raum stehen und das wirft die Frage auf: Ist es wirklich so apodiktisch wahr, was der Text behauptet? Kann und soll ich denn wirklich alles malen und zeigen als Künstler und damit in die Öffentlichkeit bringen, was mir gerade einfällt? Oder muss ich nicht auch reflektieren, ob und wie das in der in der Öffentlichkeit wirkt und was ich damit eigentlich transportiere? Das belässt diese Zeichnung von Shrigley in der Schwebe durch den Widerspruch zwischen dem, was geschrieben steht und wie es formal gestaltet ist. Diesen schwebenden Widerspruch wollte ich so in das Bild inkorporieren, weil das Gleiche auch für Ziegler und meine Auseinandersetzung mit Ziegler zu bedenken ist.

Natürlich kann man rein formal sagen, zu allen Zeiten kann man prinzipiell im Atelier auf die Leinwand bringen, was man möchte, aber man ist trotzdem immer Teil einer Öffentlichkeit. Auch derjenige, der sagt „ich mache das nur für mich“. Da lügt man sich als Künstler in die Tasche. Man macht es ja nicht nur für sich. Man ist der erste Rezipient und damit auch Stellvertreter für alle möglichen anderen Rezipienten und insofern macht man es niemals nur für sich. Damit ist man quasi schon in der Öffentlichkeit und muss sich überlegen: Muss ich das so machen, kann ich das so machen, ist das sinnvoll, ist das notwendig, ist das interessant?

Diesen Fragen muss man sich immer stellen. Dieser Grundsatz wird mit der Einkerbung in die Baumrinde in das Bild mit hineingenommen.

ULLRICH: Auch die Frage: Ist das gefährlich, wenn ich da alles Beliebige mache? Deshalb könnte man sagen, Shrigley zeigt diesen Künstler auch als einen Bösewicht, zumindest als sinistre Gestalt, die sich erstmal nicht um die allgemeinen Geschmacks- oder Moralvorstellungen kümmert. Und das würde ja wieder ganz gut passen, wenn Sie hier, wie wir es besprochen haben, indirekt auch die Geschichte der Eugenik thematisieren, also die Idee, wie sich möglichst schöne perfekte Körper erschaffen lassen. Es war lange Zeit ja auch primäre Aufgabe gerade der Kunst, diese Ideale zu entwickeln und vielleicht mit eigenen Bildwerken dazu beizutragen, dass man diesen Idealen in der Realität näherkam. Diese gesellschaftsformatierende oder gesellschaftsumformende Funktion hat man der Kunst immer wieder, gerade auch in der Renaissance und den Jahrhunderten darauf, zugesprochen. Das war keine genuin neue Idee der Nazis, und jemand wie Ziegler hat sich hier sicher auch in so einer Rolle gesehen oder hat seine Bilder als Dienst am Volkskörper gesehen. Und allein, indem man jahrhundertelang der Kunst eine solche Rolle zugetraut oder zugemutet hat, ist das durchaus ernst zu nehmen. Und es stellt sich wirklich die Frage, ob Bilder hier eine große Macht haben, auch eine gefährliche Macht, und ob Sie jetzt ihre Rolle aber vielleicht gerade darin sehen, als Künstler diese Rolle auch zu stören und zu hinterfragen, ja zu ersetzen durch andere Rollen, so dass Sie gerade keine Bilder schaffen wollen, die so wirkstark und massiv sind, um irgendwas prägen zu können, sondern dass Sie lieber Bilder schaffen wollen, die als Störung, als Pause, als eine Chance zur Reflexion wirken.

SCHOEMAKERS: Ich würde meine Tätigkeit als eher analytisch und vielleicht fast zersetzend bezeichnen. Indem ich die Dinge auseinandernehme und damit vielleicht einen neuen freien Blick ermögliche, dadurch dass ich unterschiedlichste Sachverhalte anschaulich im Bild zusammenbringe. Das ermöglicht einem, diese Dinge im Nachvollzug wahrzunehmen und zu durchdenken, um dann eine Position dazu zu entwickeln. Es ist nicht so, so nehme ich es jedenfalls nicht wahr, dass eine bestimmte Lesart oder endgültige Aussage von mir festgelegt wird, sondern dass mein Ansatz immer eher analytisch ist.

ULLRICH: Es gibt die schöne Theorie von Lambert Wiesing, dass Bilder Partizipationspausen sind. Also, wenn wir auf ein Bild blicken, sind wir für den Moment erlöst davon, in der Welt zu sein und auf alles reagieren zu müssen. Also wir können auf das reagieren, was wir auf einem Bild sehen, wir müssen aber nicht darauf reagieren, und auf vieles können wir auch gar nicht reagieren, weil es ein Bild ist. Was manchmal als das Defizit von Bildern beschrieben wurde, wird von Wiesing also zu deren positiver Eigenschaft erklärt. Daraus wird dann die Vorstellung abgeleitet, dass Bilder etwas sind, was uns in die Lage versetzt, auf Distanz zu gehen. Und gerade, wenn wir Dinge auf Bildern sehen, die uns aus unserem Alltag bekannt sind, wo sie uns unter Umständen bedrängen, ja die uns umgeben, sodass wir ihnen nicht entkommen können, ist es wunderschön, wenn wir dieselben Dinge auch mal auf einem Bild sehen, weil wir uns dann eben in Distanz dazu bringen können und dann diese Partizipationspause erleben, wie Wiesing das nennt. Ich könnte mir vorstellen, dass sie mit einer solchen Bildtheorie durchaus sympathisieren.

SCHOEMAKERS: Ja, das ist ja ganz interessant. Wahrnehmung wird hier als Partizipation bezeichnet und gleichzeitig könnte man Kunstwahrnehmung durchaus traditionell mit dem „interesselosen Wohlgefallen“ verbinden, was ja für sich selbst wie ein Widerspruch klingt. „Bildteilnahme“ ist eben eine Teilnahme auf einer anderen Ebene, in der Distanz, die dann natürlich auch ermöglicht, zu den Phänomenen andere Haltungen einzunehmen, als wenn man direkt involviert ist.

ULLRICH: Ich glaube aber, bei Ihnen geht es nicht nur um dieses distanzierend analytisch-reflexive Verhältnis, sondern auch darum, dass man mehr davon hat, wenn man ein bisschen mehr Bildung mitbringt. Die Referenzen von Burgkmaier bis Shrigley, wenn man die jetzt alle nicht erkennen würde, dann wäre es ja doch nur ein Rätselbild, und man bliebe wahrscheinlich unbefriedigt beim Versuch des Reflektierens. Das bringt mich auf die Frage: Wer ist für Sie die ideale Betrachterin, der ideale Betrachter? Gibt es diese ideale Figur und wie sehr bedenken Sie auch die Voraussetzungen des Rezipienten oder der Rezipientin mit?

SCHOEMAKERS: Es ist sehr schwierig, sich einen idealen Betrachter oder Betrachterin vorzustellen in einer Situation, wo ein Publikum extrem divers sein kann. Da kann ich mich nicht auf eine Figur konzentrieren und sagen „Auf die hin muss ich jetzt meine Arbeiten konzipieren“. Ich muss damit rechnen, dass vieles auf den ersten Blick zunächst nicht erkannt wird. Das Einzige, was ich vielleicht gerne voraussetzen wollen würde, wäre die Bereitschaft, dem nachzugehen, was man sieht und zu versuchen, herauszufinden, was zu erkennen ist. Dabei verschließe ich mich auch nie und würde auch nicht sagen: „Das sage ich jetzt nicht“, wenn ich gefragt werde, aber ich habe natürlich nicht die letzten Jahrzehnte immer Beipackzettel zu den Arbeiten geliefert.

In Situationen in Ausstellungen, wo gefragt wird, äußere ich mich. Es gibt begleitende Texte und dergleichen, und wenn man sich näher damit beschäftigt, kann man auch Dinge erschließen. Es ist nun einmal so, dass Bilder nicht weniger komplex sind als andere Kunstformen, und wenn man sie gänzlich genießen will, muss man sich in dieser Art und Weise darauf einlassen.

Es ist für mich keine Option, dass ich sage, weil nicht jeder alles erkennen kann, muss ich das alles weglassen. Denn dann bleibt am Ende wenig übrig. Dann bin ich bei einer sehr oberflächlichen Bildkultur und dazu muss ich ja nicht unbedingt beitragen.

ULLRICH: Andererseits könnte man die kritische Frage stellen, angesichts des von uns schon angesprochenen gewaltigen Rechtsrucks, den wir gerade erleben, wäre es jetzt nicht die Aufgabe der Kunst, Bilder zu schaffen, die versuchen, diesen Rechtsruck aufzuhalten oder dem etwas entgegenzusetzen? Bilder, die also eher eine aktivistische Form haben, die Figuren haben, mit denen man sich identifizieren kann, die gegen etwas kämpfen, gegen das man auch kämpfen möchte? Wie weit kommt man mit so einem distanziert reflexiven und bildungssatten Bildprogramm in Zeiten, wie wir sie jetzt erleben?

SCHOEMAKERS: Ist es eine Alternative, wenn ich stattdessen Bildformate wähle, die ähnlich laut und plakativ sind? Das wäre wie zwei Personen, die sich schreiend gegenüberstehen. Und das wäre auch nicht unbedingt die Keimzelle von Verständigung.

Die Frage ist, wie groß die Bereitschaft jedes Einzelnen ist, sich auf etwas einzulassen. Wenn ich überlege, da ist jemand, der in seiner Meinung sehr festgelegt ist, und auch nichts darauf kommen lassen will, dann werde ich den wahrscheinlich auch mit einem „Gegenbild“ auf gleicher Ebene nicht überzeugen.

Er wird wahrscheinlich eher bestärkt sein. Insofern wüsste ich auch nicht, was ich formal machen sollte, also was jetzt ein formal entsprechender bildnerische Gegenentwurf wäre.

ULLRICH: Wüsste ich jetzt auch nicht. Es gibt auch immer die Gefahr aktivistischer oder identifikatorischer Kunst, dass sie nur diejenigen erreichen kann, die ohnehin schon derselben Meinung sind, denen man aber immerhin nochmal mehr Motivation geben kann. Aber letztlich führt es dazu, dass noch lauter geschrien wird, das ist richtig. Da versuchen Sie eher moderierend zu wirken, zunächst eine gewisse Irritation zu schaffen.

Viele würden auf den ersten Blick sagen, das könnte ja auch eine rechte Malerei sein – dieser Naturalismus, das sehr Gegenständliche, die Betonung des Handwerklichen. Auf den allerersten Blick ist die politische Haltung gar nicht offensichtlich, die Ihrer Arbeit zugrunde liegt. Natürlich sieht man, dass zum Beispiel die Sockel zerstört sind. Da wächst schon schnell Misstrauen, ob das wirklich ein rechtes Bildprogramm sein kann. Aber ich kann mir vorstellen, dass es auf den ersten Blick wegen der Ästhetik und Ihres Stils durchaus auch anschlussfähig ist an Stilvorlieben eher konservativ-rechter Milieus. Oder wie ist Ihre Erfahrung beim Ausstellen oder im Umgang mit Ihren Bildern?

SCHOEMAKERS: Es ist natürlich die Schwierigkeit dieser Art von Malerei, dass sie so rezipiert werden kann, wie Sie es jetzt beschrieben haben. Aber das ist nun einmal das, was ich mache. Ein Betrachter ist auch für die eigene Wahrnehmungen mitverantwortlich, die kann ich ihm nicht abnehmen.

ULLRICH: Ich finde, das ist nicht unbedingt eine Schwierigkeit. Es ist gleichzeitig auch eine Art Lockvogelprinzip, dass Sie die Leute, die Ihnen politisch sehr fremd sind, nicht schon auf den ersten Blick verschrecken und in ihre Ecke treiben, sondern sie dazu bringen können, sich auseinanderzusetzen. Vielleicht in der Hoffnung, dass sie im zweiten und dritten Schritt, wenn sie sich wirklich darauf einlassen, auch merken, dass Sie doch kein Gesinnungskumpan sind, sondern etwas ganz anderes.

SCHOEMAKERS: Man muss aber auch prinzipiell anerkennen, Politik wird nicht primär in Ausstellungshäusern gemacht. Kunst reflektiert Politik. Auch aktivistische Kunst sollte sich jetzt nicht der Illusion hingeben, dass sie wirklich im politischen Diskurs sehr viel bewegen kann. Kunst reflektiert Phänomene, verstärkt sie vielleicht. Sie kann manche Diskussionen anstoßen, wenn es ganz prominent wird. Aber die Kunst ist jetzt nicht die hauptsächliche Arena, in der politische Diskussionen ausgetragen werden. Die werden in der Kunst reflektiert und das für ein Publikum, das bereit und in der Lage ist, das auf dieser Ebene zu reflektieren.

Als bildender Künstler ist man in der Regel auch nicht Mainstream und erreicht unglaublich viele Menschen, sondern immer nur eine sehr begrenzte Anzahl von Menschen.

ULLRICH: Wenn wir jetzt schon über die Rezeption reden – im Moment gibt es noch keine öffentliche Rezeption, da das Bild eben erst fertig geworden ist. Aber ich glaube der erste Ausstellungsort steht schon fest?

SCHOEMAKERS: Ja, es wird ab dem 15. März in der Stadtgalerie Kiel zu sehen sein in der Ausstellung „Dissonance“, einer Malereiausstellung, da wird es interessant sein, zu sehen, wie sich das Bild in diesen Kontext einfügt und wie es aufgenommen wird.

ULLRICH: Wahrscheinlich wäre es noch schöner für Sie, wenn es in einer größeren Einzelausstellung mit weiteren Arbeiten von Ihnen gezeigt würde, wo man dann noch besser verstehen kann, was Ihren Ansatz einer, wie es einmal schön gesagt wurde, „dekonstruktiven allegorischen Malerei“ auszeichnet.

SCHOEMAKERS: Genau. Es gehört in die Serie „München leuchtet“ Serie, insofern wäre es natürlich gut, diese Serie jetzt in Vollständigkeit zeigen zu können.

ULLRICH: Ist die Serie jetzt abgeschlossen?

SCHOEMAKERS: Es gibt vielleicht noch ein, zwei kleinere Arbeiten, aber im Wesentlichen ist die Serie jetzt abgeschlossen.